Nio EL7 und ET7 Fahrbericht

SUV EL7

NIO, ein chinesischer E-Auto-Hersteller, an dem unter anderem lenovo beteiligt ist, kommt mit Modellen der oberen Mittelklasse auf den deutschen Markt. Einzigartig ist das Konzept, dass man, wenn man den Akku (75 oder 100 hWh) mietet, jederzeit an eine der Tausch-Stationen (derzeit erst sieben im Bundesgebiet, Anzahl steigend) fahren kann und innerhalb von ca. 5-10 Minuten einen neuen Akku von einem Roboter eingesetzt bekommt. Dieser ist dann voll geladen, und führt im günstigsten Fall ca. 400 km weit. NIO wird ab 2024 dann nur den Strom der Akkuladung beim Wechsel berechnen. In der Pilotphase ist der Wechsel inkl. Strompaket noch kostenlos.

Das Fahrzeug hat Luftfederung und beide Achsen sind angetrieben mit E-Motoren. Der Akku liegt flach unter dem Fahrzeug (damit er gewechselt werden kann). Ladetechnik und Ladeleistung liegt im Mittelfeld (Schnelladen von 10 auf 80% sind mit 40 Minuten angegeben), der Verbrauch beim EL7 ist deutlich höher (Testbetrieb 22,5 kWh im Stadt- und Landverkehr auf rund 60 km von 97% auf 82% runter als beim EQS SUV, obwohl das Fahrzeug etwa gleich motorisiert ist wie der EQS SUV 580.

Das Glasdach vom SUV lässt sich durch einen Schalter mit einem elektrisch betriebenen Dachhimmel verdunkeln.

Limousine ET7

Der ET7 hat ein zweiteiliges, festes Glasdach, das sich leider nicht (weder elektrisch noch mechanisch und auch nicht elektrochromatisch) verdunkeln lässt. Stattdessen gibt es stoffbezogene Kunststoff-Einsätze, die man von Hand unter dem Glasdach anbringen kann.

Technik / Hardware / Software

An Hardware ist so ziemlich alles eingebaut, was neu und gut ist. Neben einem LIDAR-Sensor auf dem Dach (sieht aus, wie bei alten englischen Taxis der Buckel), ist das Fahrzeug von zahlreichen Kameras außen (und innen) umrahmt. Dazu kommt ein Radar-Sensor zur Erkennung bewegter Objekte.

Die Kameras können Livebild und in Gefahrensituationen (Vollbremsung oder Unfall) Videos aufzeichnen und speichern sie automatisch (konnte natürlich nicht getestet werden). Bei einer fälschlichen Erkennung eines nicht vorhandenen Fußgängers kam zwar ein rotes Warnschild im Display, das Video war aber nicht unter Gefahren-Videos zu finden.

Der Rechner im System ist schnell, die beiden Displays hervorragend ablesbar und sehr hochauflösend und scharf. Ähnelt dem Retina Display bei Apple.

Außer den Tasten seitlich am Sitz muss alles über den Zentralbildschirm aufgerufen werden und kann dann mit den Lenkradtasten eingestellt werden.

Der Fahrschalter ist eine Wippe, die nach hinten gezogen D und nach vorne R setzt, an der Stirnseite links ist der P-Knopf zum Abstellen.

Lediglich für Wischer und Licht gibt es jeweils einen Lenkstockhebel. Einen Lautstärkegegler gibt es ebenfalls nicht, mit der Taste am Bildschirm kann man nur stummschalten oder die Stummschaltung aufheben. Nur mit der Sprachassistentin lässt sich der Regler aufrufen, wo man Naviansagen und Audio einregeln kann.

Ein Soundsystem oder Konfigurationsmöglichkeiten habe ich nicht entdeckt, der Klang ist so lala.

Eine Autopilot-Funktion soll bei idealen Verhältnissen den Fahrer unterstützen. Man kann zwar rund 45 Sekunden das Lenkrad loslassen, da das System aber immer wieder die Fahrspur nicht erkennt und aus und wieder einschaltet, wird das nicht mal dem Autonomen Fahren Level 1 gerecht.

Geschwindigkeitslimits werden im Testgebiet (Sylt) hervorragend erkannt, allerdings kommt ein Piepton und man muss auf dem Lenkrad in die richtige Richtung (von 100 auf 70 also nach unten und von 50 nach 70 oben) die Lenkradtaste drücken. Alle anderen Hersteller können das bei gleicher Hardware automatisch. Ich frage mich, wozu die Software von mir nochmal wissen möchte, ob sich die erkannte Geschwindigkeitsänderung nach oben oder nach unten bewegt. Das lenkt nur unnötig ab, weil man auf das Lenkrad schauen muss, um den richtigen Knopf zu erwischen.

Dazu kommt, dass bei unsauberer oder abgenutzter Mittellinie der Autopilot dauernd mit Piepton aussteigt, um 1 Sekunde später wieder einzuschalten, was wieder mit Piepton quittiert wird. Nervig!

Nomi, die kugelige Assistentin

Wenn man einsteigt, begrüßt einen Nomi mit einer weiblich kindlichen Stimme (Nomi ist gefühlt 14). Nomi ist eine Kugel auf dem Armaturenbrett, die auf einem kleinen Bildschirm anlächeln oder diverse Gesten machen kann. Die Kugel dreht sich mit dem Gesicht immer zum Sprecher.

Die Sprachsteuerung läuft relativ flüssig, Antworten kommen zügig. Allerdings will NOMI es genau wissen:

  • Bei Anrufen muss der Name genauso gesagt werden, wie er im Adressbuch vom Telefon steht, also „rufe Mustermann, Max auf dem Handy an“. Danach kommt trotzdem eine Liste, wo man dann genau „wähle Nummer 4“ sagen muss. Gibt man den Namen falschherum an, kommen erst gefühlt 30 andere Namen und man muss von Hand die Liste durchscrollen am Bildschirm
  • Navigationsansagen bitte ganz genau nehmen. Navigiere nach List funktioniert nicht, Hier versteht sie (oder es) nur Navigiere nach List auf Sylt. Es werden auch nicht alle Lists in Deutschland angezeigt (es gibt nur das eine), sondern es sagt „Ich verstehe Dich nicht“ oder „gib das von Hand ein“.
  • Fahrzeugsteuerung funktioniert gut: Man kann es wärmer machen (3 Zonen, Fahrer, Beifahrer, hinten), Massagesitze Fahrer, Beifahrer, Sitzheizung, Sitzlüftung, die Fenster hoch und runtermachen (bei der Einfahrt in ein Parkhaus nützlich: Fahrerfenster runter)
  • Fotos machen: Nomi hat einen „mache ein Selfie“ Modus, wo alle Insassen im Innenraum über die Innenkamera fotografiert werden können. Diese Fotos kann man über einen USB-Stick dann abspeichern – nicht weiterleiten per E-Maio oder gar auf das Handy senden.
  • Video von der Fahrt aufzeichnen. Auf Befehl „Videoaufzeichnung“ zeichnet Nomi mit den verschiedenen Kameras alle Perspektiven auf und hält 90 Sekunden lang die Situation fest. Die Videos werden im .ts Format gespeichert und lassen sich beispielsweise mit VLC Player abspielen. Sie lassen sich auf einen USB-Speicher hochladen oder in Notfallspeicher archivieren auf der SSD (oder HDD) des Systems.
  • Nomi kann Witze erzählen, die man inhaltlich leider nicht versteht.

Bleibt noch anzumerken, dass in arabischen/islamischen Staaten eine Frauenstimme im Navi ein absolutes No-Go ist. Die Stimme ist aber nicht einstellbar, sondern immer das gleiche 14-jährige Mädchen.

Handy/Smartphone-Kopplung – back to 90s

Man kann per Bluetooth wie damals sein (oder Nostalgie-Handy wie Siemens S55) per Bluetooth koppeln, allerdings nur Telefonie und Kontakte. Für das Abspielen von Audiodateien vom Handy kann die A2DP (Bluetooth Audio-Kopplung) genutzt werden. Wer Musik in hoher Qualität hören möchte, ist auf Spotify oder Tidal angewiesen und muss dort einen Account zusätzlich haben. Dann konnt auch das im Soundsystem des Fahrzeugs enthaltene Dolby Atos zum Einsatz. Einen Equalizer oder Einstellungen für das Soundsystem konnte ich nicht finden., Amazon Music oder der Zugriff auf andere Streaming Dienste? Fehlanzeige. Vermutlich kann man auch MP3-Dateien auf einen USB-Speicher kopieren und mit dem System abspielen – das habe ich aber nicht getestet.

Das Fahrzeug-Betriebssystem ist ein (alter) android Kernel, Es gibt weder apple Car-Play, noch android Auto. Es ist unklar, ob der Hersteller das nachrüsten wird. Auch der Playstore von Google lässt sich nicht installieren oder nutzen. Aus meiner Sicht ist das aber notwendig, um die Käuferschicht im europäischen Raum zu adressieren.

Wer sein Smartphone nicht über QI (kabellos) laden möchte, kann es auch nicht in die vorgesehene Handyschale legen, sondern muss es im tiefen Mittelfach versenken, wo ein USB-Typ A-Anschluss und ein USB Typ C (max. USB 2.0 Speed) vorhanden ist,

Navigation – Software back to 80s

Für die setzt NIO auf eine proprietäre, eigene Software. Laut Hersteller-Information ist zwar eine Art Live-Traffic enthalten und auch Over the air Karten-Updates, nähere Details nennt man aber nicht. Auch nicht, welcher Umfang und wie lange nach Kauf des Fahrzeugs kostenlos ist. Angeblich hat die MTM Karte im Fahrzeug ein Internet-Freivolumen von 5GB – beim Streaming von Radio und Co. dürfte das aber schnell überschritten sein. Da Live-Traffic immer gut sein kann, wenn möglichst alle Fahrzeuge ihre Positions und Geschwindigkeitsdaten liefern, kommt hier derzeit keiner an Google (Maps) ran.

Die Navigation hat weder 3D-Objekte, noch POII (letzteres soll sich mit dem Update Endes 2023 ändern). Es gibt auch keine geografische Kartendarstellung und keine Satellitenansicht.

Augmented Reality (wie bei Mercedes oder Audi) wäre hardwareseitig möglich, ist aber ebenfalls nicht implementiert.

Ebenso fehlt die Ampelerkennung (Kamera zeigt das Ampellicht auf dem Bildschirm, weil man die Ampel dank der Mittelkamera-Abdeckung hinter dem Spiegel nicht sieht) im Autopilot und bei Kreisverkehren muss man selbst lenken, wenn man nicht ungespitzt in die Mittelinsel fahren möchte.

Sorry, aber da war mein Becker Navi in den 80ern besser.

Fazit – EL7 + ET7

Hardware topp, Software flopp. Während die neuste Technik eingebaut ist und sich bei reiner Hardware sehr komfortabel auswirkt (Fahrkomfort, Federung, Verarbeitung und Spaltmaße), sind die Eigenentwicklungen der NIO OS beinahe so schlecht wie beim Smart Nr1. NOMI macht hier einiges wieder wett, was im Nr.1 Fuchs schlecht funktioniert, aufgrund fehlender apple Carplay- und Android Auto Unterstützung, ist die Software aber noch Welten vom allgemeinen Standard anderer Hersteller entfernt.

Auch beim Autopiloten wäre technisch Level 3 möglich, die Software kann das aber nicht.

Es muss also noch einige Zeit ins Land gehen und der Hersteller seine proprietäre Software-Strategie vom Tisch werfen, damit das Fahrzeug auch für Technik-Begeisterte interessant wird.

Wenn alles an Software auch Premium ist und funktioniert, ist auch der Grundpreis von rund 75.000 € brutto gerechtfertigt. Allerdings kommen beim 100 kWh Akku noch knapp 300 € Akkumiete pro Monat dazu. Vorteil: Wenn das Fahrzeug älter ist und der Akku Schrott, kann er im Gegensatz zu anderen Herstellern leicht getauscht werden. Alternativ kann man Akkus kaufen was jedoch nicht empfehlenswert ist – zumal bei Kaufakkus das Wechseln an der Station entfällt.

Die Anzahl der Wechselstationnen muss sich noch mindestens mehrere 100 erhöhen, so dass in allen näheren Umkreisen von Großstädten eine Wechselstation steht.

Zusammenfassung
  1. Ladetechnik und Ladeleistung liegt im Mittelfeld (Schnelladen von 10 auf 80% sind mit 40 Minuten angegeben), der Verbrauch beim EL7 ist deutlich höher (Testbetrieb 22,5 kWh im Stadt- und Landverkehr auf rund 60 km von 97% auf 82% runter als beim EQS SUV, obwohl das Fahrzeug etwa gleich motorisiert ist wie der EQS SUV 580.
  2. Ebenso fehlt die Ampelerkennung (Kamera zeigt das Ampellicht auf dem Bildschirm, weil man die Ampel dank der Mittelkamera-Abdeckung hinter dem Spiegel nicht sieht) im Autopilot und bei Kreisverkehren muss man selbst lenken, wenn man nicht ungespitzt in die Mittelinsel fahren möchte.
  3. Geschwindigkeitslimits werden im Testgebiet (Sylt) hervorragend erkannt, allerdings kommt ein Piepton und man muss auf dem Lenkrad in die richtige Richtung (von 100 auf 70 also nach unten und von 50 nach 70 oben) die Lenkradtaste drücken.
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